2. Oktober 2024 – In diesem Jahr feiert „Der Zauberberg“ seinen 100. Geburtstag. CarpeGusta Literatur nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, um dem Ausnahmeliteraten zu gedenken.
Nahezu jeder kennt ihn aus dem Deutschunterricht. Die einen haben seinen Durchbruchroman „Buddenbrooks“ gelesen. Die anderen feiern seine „Lotte in Weimar“, andere wiederum laben sich an „Tonio Kröger“. Thomas Manns Bücher erfreuen sich zeitloser Präsenz. Er galt bereits zu Lebzeiten als – so würde man es wohl heute sagen – Superstar. Denn er war einer der wenigen, der nicht nur national ein gefeierter Schriftsteller war, sondern auch international Erfolge verbuchte. Immerzu wurde er mit Auszeichnungen und Ehrungen überhäuft, 1929 sogar mit dem Nobelpreis bedacht.
Alles, was er schrieb, stach durch seine präzise, ausgefeilte Sprache heraus. Er überließ nichts dem Zufall, feilte so lange an einer Textpassage, bis sie für ihn passte. Perfektionistisch, ehrgeizig, über die Maßen diszipliniert und kontrolliert sind nur vier der vielen Adjektive, die seinen Charakter umschreiben. In der Öffentlichkeit gab er sich unnahbar, wirkte dadurch überheblich, ja arrogant. Kritiker werfen ihm vor, er sei ein Egozentriker gewesen, dessen Leben sich einzig und allein um sich selbst drehte.
Vorhang auf für ein innerseelsiches Drama
Doch der Blick auf seine Tagebücher offenbart eine ganz andere, seine weichere Seite. Schonungslos präsentieren sie den dunklen Abgrund einer labilen Seele, die trotz globalen Zuspruchs stetig um Anerkennung buhlte. Er war viel verletztlicher, als er je zugegeben hätte. Oftmals rieb er sich an einer schier unerträglichen innerlichen Zerissenheit auf. Er war geplagt von schweren Depressionen und unstillbaren Sehnsüchten, die insbesondere seine Sexualität betrafen. Denn obwohl der vermeintlich Heterosexuelle 50 Jahre lang verheiratet war, galt sein Interesse nicht wirklich Frauen. Stattdessen fühlte er sich von jungen Männern angezogen. Seine letzte große Schwärmerei durchlebte er mit 75 Jahren, als er sein Herz kurzzeitig an einen 19-jährigen Kellner verlor. Ausgelebt soll Thomas Mann diese homoerotischen Neigungen allerdings nie – höchstwahrscheinlich aus Angst vor einer Demontage. Gelitten hat er dennoch wohl ungemein darunter.
Vielleicht lag in dieser Diskrepanz zwischen Sein und Schein auch der Grund für die Ambivalenz seiner zwiespältigen Persönlichkeit und für sein Unvermögen, echte, tiefe Verbindunegn einzugehen. Obwohl er stets umgeben war von einer großen Familie, von Kollegen und Bewunderern gelang es ihm nie, mit Menschen emotional in Kontakt zu treten. Selbst gegenüber seinen sechs Kindern konnte er keine elterlichen Gefühle aufbringen. In ihren Memoiren sprechen Klaus, Erika und Golo somit nicht zufällig von einem distanzierten, oftmals jähzornigen Vater, der kaum teilnahm am Dasein seiner Sprösslinge.
So blieb Thomas Mann allerorts ein Fremder. Er lustwandelte wie ein Einsiedler durch das von ihm erschaffene Universum und blühte lediglich in seinen Werken und durch sie auf – ein weltfremdes Genie par excellence eben!