Stefan Zweig: Silberne Saiten

28. Januar 2024 – „Silberne Saiten“ von Stefan Zweig: 1901 erschien das erste Werk des Schriftstellers. Damit begann sein herausragendes literarisches Schaffen, das sich im Laufe der Jahre weit über Lyrik hinaus entwickelte. Mit diesem Band erinnert der Anaconda Verlag jetzt an die frühen Gedichte des Dichters.

Klappentext:

Das erste publizierte Buch des großen Erzählers Stefan Zweig war: ein Bändchen mit Lyrik. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert schrieb sich der junge Wiener Philosophie-Student seine Empfindungen von der Seele. Mit zarten Fingern griff er in „Silberne Saiten“ und brachte Stimmungen und Gedanken in wohlgesetzten Versen zum Klingen. Diese sechzig Gedichte sind das bedrückende Dokument eines geistigen Aufbruchs, der ihren Autor zu ganz neuen Ufern führen sollte.

Das Lebenslied von Stefan Zweig

… Und jedes Lebensmal, das ich gefühlt,
Hat in mir dunkle Klänge aufgewühlt.

Und doch, das eine will mir nie gelingen,
Mein Schicksal in ein Lebenslied zu zwingen,

Was mir die Welt in Tag und Nacht gegeben,
In einen reinen Einklang zu verweben.

Ein irres Schiff, allein auf fremden Meer,
Schwankt meine Seele steuerlos einher.

Und sucht und sucht und findet dennoch nie
Den eig’nen Wiederklang der Weltenharmonie.

Und langsam wird sie ihrer Irrfahrt müd.
Sie weiß: Nur einer ist’s, der löst ihr Lied,

Der fügt die Trauer, Glück und jeden Drang
In einen tiefen, ewig gleichen Sang.

Nur durch den Tod, der jede Wunde stillt,
wird meiner Seele Wunschgebet erfüllt.

Denn einst, wenn müd mein Lebensstern versinkt,
Mit matten Lichtern nur der Tag noch winkt,

Da werd’ ich sein Erlösungswort verspüren,
Er wird mir segnend an die Seele rühren,

Und in mir atmet plötzlich heil’ge Ruh …
Mein Herz verstummt … Er lächelt mild mir zu …

Und hebt den Bogen … Und die Saiten zittern
Wie Erntepracht vor drohenden Gewittern,

Und beben, beugen sich – und singen schon
Den ersten, sehnsuchtsweichen Silberton.

Wie eine scheue Knospe, die erblüht,
Reift aus dem ersten Klang ein süßes Lied.

Da wird mein tiefstes Sehnen plötzlich Wort,
Mein Lebenslied ein einziger Accord,

Und Leid und Freude, Nacht und Sonnenglanz
Umfassen sich in reiner Consonanz.

Und in die Tiefen, die noch keiner fand,
Greift seine wunderstarke Meisterhand.

Und was nur dumpfer Wesenstrieb gewesen,
Weiß er zu lichter Klarheit zu erlösen.

Und wilder wird sein Lied … Wie heißes Blut
So rot und voll strömt seiner Töne Flut

Und braust dahin, wie schaumgekrönte Wellen,
die trotzig an der eig’nen Kraft zerschellen,

Ein toller Sang lustlechzender Mänaden
Ertost es laut in jauchzenden Kascaden.

Und wilder wird der Töne Bacchanal
Und wächst zur ungeahnten Sinnesqual

Und wird ein Schrei, der schrill zum Himmel gellt –
– Dann wirrt der wilde Strom und stirbt und fällt …

Ein Schluchzen noch, das müde sich entringt …
Das Lied verstummt … Der matte Bogen sinkt …

Und meine Seele zittert von den Saiten
Zu sphärenklangdurchbebten Ewigkeiten …

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